Wenn Tubisten reisen
Auf dem Weihnachtskonzert 2016. Ein Seitenwechsel. Für mich seit langem mal wieder als Zuhörer. Warum? Mein Wintersemester hatte ich, dem Erasmus-Programm der Europäischen Union sei Dank, ins Ausland verlegen können: Von der Technischen Universität Darmstadt an die Vysoké Učení Technické v Brně. Anfang September 2016 ging es los. Nach Brno in der Tschechischen Republik. Drei Monate (und ein bisschen mehr) Auslandserfahrung in einem mir zwar nicht gänzlich fremden Land, aber in einer doch gänzlich fremden Stadt.
Dachte ich zumindest. Die Ähnlichkeiten zwischen Brno und Darmstadt aber sind frappierend. Brno ist die Studentenstadt in Tschechien. Drei oder vier, vielleicht auch mehr Universitäten bietet die Stadt. Bis heute weiß ich es nicht so genau. Jedenfalls gibt es (zumindest unter der Woche) einen Haufen Studenten in der Stadt. Weitere Ähnlichkeiten wären: Der zentrale Platz, Náměstí Svobody, bietet nicht nur Straßenbahn, sondern auch eine Art Langen Ludwig. Gut, die Herrscherin auf der Säule ist himmlischer Natur – die Heilige Maria. Dann der Campus, ähnlich wie die Lichtwiese in Darmstadt ist dieser auch in Brno am Stadtrand gelegen. Aber mit Straßenbahnanschluss! Und zu guter Letzt: „Hubda z FEKTu“, ein Open-Air-Festival vor der Fakultät Elektrotechnik. Als würde man ein stark verkleinertes Schlossgrabenfest auf die Lichtwiese verlegen.Genügend Gründe, sich schnell heimisch zu fühlen!
Meine erste Woche, die „Welcome Week“, weckte Erinnerungen an diverse Jugendfreizeiten des Musikvereins und nicht zuletzt auch an meine Zeit als Erstsemester in Darmstadt. Ganz viele neue Gesichter, Stadtrallye, Olympiade, Besuch des Planetariums, des technischen Museums und Ausflüge in die Region. Eine ausführliche Verkostung der guten tschechischen Biere durfte natürlich nicht fehlen.Wobei letzteres ein nicht abgeschlossenes Projekt ist. Die Vielfalt an Biersorten in Tschechien, insbesondere im Geschmack, habe ich in Deutschland so noch nicht gesehen.
Doch auch nachdem die Vorlesungen begonnen hatten, wollte sich nicht so recht Normalität einstellen. Zu viele Orte warteten darauf erkundet zu werden und dazu hatten wir bis Ende September sommerliche Temperaturen und viel Sonne. Der Plan: Montag bis Donnerstag Uni, Freitag bis Sonntag reisen. Es ging auf. Auf dem Plan standen (in chronologischer Reihenfolge) vorrangig Welterbestätten: Kroměříž, Mährischer Karst, Třebíč, Lednice, Prag, Burčak-Marsch Milotice, Telč, Český Krumlov, Český Budějovice, Bratislava, Olomouc, Ostrava, Tatra-Museum Kopřivnice, Budapest, Wien, Dresden, die Hohe Tatra. Waren die ersten Touren noch vom International Students Club (ISC) der Universität organisiert, der sich vorzüglich um uns Austauschstudenten gekümmert hat, so kam es in Prag dann zur Geburt von Christian-Tours. Eher ein Zufall, dass ich mich dann selbst um die Organisation der Reisen gekümmert habe. Die Freiheit in der Planung haben wir genutzt. Ich wäre sonst wohl nie in die größte Synagoge Europas in Budapest, das ungarische Parlament oder auch in einen Hochofen im Industriedenkmal Dolní Vítkovice in Ostrava gekommen. Allein war ich natürlich nie unterwegs.Die Reisen waren eine unvergessliche Zeit mit meiner Erasmus-Familie. Einer europäischen Familie mit globaler Verwandtschaft.
Bevor jetzt hier ein Verdacht aufkommt: Nein, ich war nicht nur zu meinem Vergnügen unterwegs. Tatsächlich konnte ich einige Credit Points erwerben. Vorrangig in Sprachen: G-Code (die Sprache der CNC-Maschinen), KRL (die Sprache der Kuka-Industrieroboter) und čeština (die Sprache der Tschechen). Ach ja, mein Englisch habe ich wohl auch ein bisschen verbessert. Nicht nur der Lehrbetrieb war auf Englisch, sondern auch die Kommunikation mit anderen Studierenden.
Wenn Tubisten reisen, gibt es meist ein großes Problem: Für die Tuba ist kein Platz. So auch bei mir. Ferdl musste zuhause bleiben. Stattdessen standen Mundstückübungen auf dem Programm. Einen Ausgleich gab es aber. Zum einen das Music Lab. Ein Jazzkeller im – man ahnt es – Keller der Musikhochschule. Offen nicht nur für Jazzliebhaber, denn der Name ist Programm. Dann ein Konzert von Brass6, einem sehr feinen Blechbläsersextett, zusammen mit dem Bohemian Saxophone Quartett. Auch nicht zu vergessen ist ein Opernbesuch. Im Programm eine Oper von Bedřich Smetana: „Hubička“ – „Der Kuss“. Natürlich in Tschechisch, aber mit englischen Untertiteln.
Viel schneller als es mir lieb war, ist die Zeit in Brno zu Ende gegangen. Im Rückblick lässt sich sagen, dass ich die Zeit in Brno sehr genossen habe. Die Offenheit, mit der ich empfangen wurde, habe ich so nicht erwartet und hat mich positiv überrascht. Auch die Atmosphäre im Studentenwohnheim, in Brno und auf meinen Reisen, sie war einmalig und unvergesslich. Hervorzuheben ist auch, dass die Austauschstudenten aus einer Vielzahl von Nationen stammten. Dies habe ich als große Bereicherung erlebt. Viele freundschaftliche Kontakte in alle Welt sind so entstanden und auch das ein oder andere zukünftige Reiseziel steht deswegen schon fest.
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